Handball

Kamikaze in der roten Hölle

Garmisch-Partenkirchen – Die einen wollten nicht mehr weg aus der Halle. Die anderen versteckten sich in der Kabine. Während die Partenkirchner Handballer eine ganze Litanei an Feierlichkeiten herunter zu beten hatten, mied Maximilian Dück die rote Hölle. Für ihn und seine Murnauer war das größtmögliche Debakel eingetreten. Fünf Minuten vor Schluss führte der TSV mit vier Toren Vorsprung – und verlor das Derby in der Handball-Bezirksliga vor mehr als 500 Zuschauern noch 31:32. Wie? Nun, das ist ab sofort Stoff für die Ewigkeit. Der Samstag im Oktober wird eingehen als die wildeste Aufholjagd der TSVP-Historie. Und er wird für immer mit zwei Namen verbunden sein: mit Jannik Guggenmos, der die zwei entscheidenden Tore warf, und mit Stefan Pasurka.

Bei ihm anzufangen, ist nur gut und gerecht. Denn ihn feierten sie im Kreis der Fans anschließend als „Hexer“. Da war etwas dran. In den 55 Minuten zuvor hatte er das Torhüterduell mit Lucas Scheffler vom TSV Murnau verloren, wie sein Coach Christoph Widenmayer festhielt. Aber: „Plötzlich hat der Stefan gemerkt, dass der doch Bälle halten kann“, scherzt Widenmayer. Das waren nicht irgendwelche Versuche, sondern komplett freie Würfe, die er wegfischte. In der aussichtslosen Situation hatte Partenkirchen zu einer Taktik gegriffen, deren Erfolgschancen gewöhnlich gen Null driften. Der TSVP verteidigte seine Gegner über das ganze Feld in offensiver Mann-Deckung. „Das war nur Kamikaze“, sagt Hannes Bräu, der Sportliche Leiter – und Stadionsprecher.

An normalen Tagen nutzt das ein Team von der Güte der Murnauer, um leichte Tore zu werfen, um Zeit herunter zu spielen. Aber nichts war normal. „Wir haben uns von der Hektik, vom Publikum, von Partenkirchen, von den Schiris anstecken lassen. Wir sind eine junge Mannschaft, wir sind nicht abgebrüht“, klagt Trainer Dück. Fehlpässe und Fehlwürfe wechselten sich ab. Alles kulminierte in den zwei entscheidenden Momenten. In der heiligen Partenkirchner Zweifaltigkeit. Pasurkas Parade und Guggenmos’ Siegtor.

Wie genau er den letzten Versuch von Silas Hofmann abgewehrt hat, kann der Torwart en detail erklären. Die Kurzfassung: Er lockte den Murnauer zu einem Wurf ins lange Eck, der fiel drauf rein. „Das war Glück, dass der Reflex richtig war“, sagt Pasurka. Kollege Guggenmos erzielte das 32. Tor des TSV Partenkirchen im Gegenstoß. Flach warf er den Ball, vorbei an den schier unendlichen Extremitäten von Torwart Scheffler, der so viele Bälle damit gehalten hatte.

„Da überlegt man gar nicht, da wirft man einfach“, sagt Guggenmos. Er traf und krönte die schönste Handballwoche seines Lebens. „Es war von Montag bis jetzt nur Herzklopfen“, erzählt er. Los ging das mit neckischen Sprüchen wie diesem hier: „Wir töten den Drachen“, schrieb einer. Ja, man stachelte sich ordentlich gegenseitig auf. Nur in diesem Klima konnte ein derartiges Handballfest erwachsen. 440 zahlende Zuschauer notierte der TSVP – und da waren die vielen Kinder und Helfer nicht mitgezählt. „Ein unbeschreibliches Gefühl, vor dieser Halle zu gewinnen“, sagt Torhüter Stefan Pasurka.

Die sportliche Geschichte der Minuten davor ist wiederum schnell abzuhandeln. Die Partie triefte von Fehlern und Zeitstrafen. Obwohl sie nicht unfair geführt war. Aber die zwei Verbandsschiedsrichter fuhren eine äußerst strikte Linie, an vielen Stellen deutlich zu rigide. Acht Zeitstrafen für Partenkirchen, neun für Murnau – und das bei teils harmlosen Szenen – hätte es nicht gebraucht.

„Unterm Strich nicht spielentscheidend“, notiert Christoph Widenmayer. Kurioserweise wuchs meist das Team in Unterzahl über sich hinaus, vor allem TSV-Torwart Scheffler mit irrsinnigen Reflexen bei doppelter Unterzahl. Von Minute 2 bis 57 führte Murnau. Danach? „Waren wir nicht mehr die Mannschaft, die wir eigentlich sind. Die Spieler haben den Kopf ausgeschaltet“, erklärt Dück. Eingreifen konnte er auch nicht mehr. Seine Auszeit der zweiten Hälfte war bereits verbraten. So sah er mit an, wie sein Team in die Katastrophe schlitterte. „Ich hatte schon resigniert“, meint Trainer Widenmayer. „Ich habe nicht gedacht, dass wir das drehen“, räumt Torwart Pasurka ein. „Dass die auf die Manndeckung reinfallen, hätte ich nicht geglaubt“, betont Jannik Guggenmos. Alle noch so unwahrscheinlichen Ereignisse traten ein – und ebneten den Weg für den roten Feiertag. Bemerkenswert war aber, was ganz am Ende ablief, als die Lichter im Werdenfels-Gymnasium ausgingen. Partenkirchner und Murnauer machten sich gemeinsam auf und aßen zusammen. Eine große Geste für einen großen Tag.

TSV Partenkirchen: Pasurka, Schnurr – Neuhaus (7,) Müller (6), Bräu, Guggenmos (je 4), T. Rieger (3), Sprenger, Ostler (je 2), Sauter, F. Rieger, Hofmann, Bouhamidi (je 1).

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